"The Expanse" ist die beste Science-Fiction-Serie seit Langem.
Eine Rezension von Francesco Giammarco
Aus der ZEIT Nr.02/2021 Veröffentlicht am
Erschienen in DIE ZEIT Nr.2/2021
Bloß weil eine Geschichte in der Zukunft spielt und im Weltraum, muss sie nicht weniger schmutzig sein als die geopolitische Gegenwart. Wenn in der neuen Staffel der Science-Fiction-Serie The Expanse die entscheidende Schlacht um die Zukunft der Menschheit geschlagen wird, kommen weder Laserpistolen zum Einsatz noch Weltraumkampfjets. Ein Steinbrocken aus dem All, Skrupellosigkeit und ein gut gewählter Einschlagswinkel – mehr braucht es nicht, um das Machtgleichgewicht im Sonnensystem zu verschieben.
The Expanse, nach drei Staffeln vom ursprünglichen Sender abgesetzt und anschließend vom Edelfan Jeff Bezos gerettet und zu Amazon Prime gebracht, ist die interessanteste Science-Fiction-Serie seit Langem. Sie erzählt die Geschichte der Menschheit im 24. Jahrhundert – die ist nicht mehr nur auf unseren Heimatplaneten beschränkt, über die Grenzen des Sonnensystems ist allerdings auch niemand hinausgekommen.
So ist die Erde eine alte Supermacht, übervölkert, müde, man könnte sagen: spätdekadent. Der Mars, ehemals eine Kolonie der Erde, hat seine Unabhängigkeit erklärt und sich zu einer aufstrebenden Militärmacht entwickelt. Und tief im Sonnensystem leben auf Asteroiden und Raumstationen die sogenannten Belter, die Minenarbeiter der Zukunft. Sie graben dort nicht nach Kohle, sondern nach Wasser und anderen Rohstoffen, die sich im 24. Jahrhundert als kostbarer erweisen. Die Belter sind keine politische Einheit, was natürlich im Interesse von Mars und Erde liegt, deren Konzerne die Minen betreiben. Diese geopolitisch angespannte Lage wird zu Beginn der Serie durch eine Entdeckung weiter verschärft: Spuren von außerirdischem Leben.
So viel zum Plot, der aber nicht entscheidend ist. Was The Expanse so einzigartig macht, ist nicht, was erzählt wird, sondern wie. Die Serie schafft, was vielen anderen nicht gelingt: Sie zeigt Menschen im Weltraum auf realistische Weise. Die heimliche Hauptfigur in The Expanse ist die Schwerkraft selbst. Die Gravitationskräfte formen das politische Universum der Serie: Die Erde ist nicht nur eine etablierte Macht, sondern auch der Ort mit der für die Menschen ursprünglichen und angenehmsten Schwerkraft.
Wer von hier kommt, ist ein bisschen mehr Mensch als alle anderen, was Grund für das Überlegenheitsgefühl der Erdlinge und die Ressentiments aller anderen ist. Auf dem Mars ist die Anziehung schwächer; wer hier leben will, muss innovativ sein, was die Marsianer zu einer technisch überlegenen und kollektivistischen Nation macht. Die Gravitation formt nicht nur Gesellschaften, sondern auch Körper. Die im Weltraum geborenen Belter sind länger und dünner als Marsianer und Erdenbewohner, die Dichte ihrer Knochen ist geringer (wie heute schon bei Astronauten, die längere Zeit im Weltall verbringen). Die Schwerkraft eines echten Planeten ist für sie unerträglich. So bleiben sie auch räumlich von ihren Mitmenschen getrennt, die Klassenunterschiede werden zu physikalischen Unterschieden.
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Entsprechend verblasst bei The Expanse nie die Grenze zwischen Technik und Magie, wie das im Science-Fiction-Genre sonst häufig geschieht. Raumfahrt ist hier keine angenehme Sache, sondern ein für weiche menschliche Körper schmerzhafter Prozess aus Beschleunigen und Abbremsen. Die Serie wirft jahrzehntelang erprobte Science-Fiction-Ästhetik über Bord: Die Raumschiffe sind hässlich und asymmetrisch, was im Weltraum natürlich keine Rolle spielt. Man braucht einige Folgen, um sich von alten Sehgewohnheiten zu lösen. Erst dann stört es nicht mehr, dass die Weltraumfrachter sich oft falsch herum, also mit dem Antrieb voran, bewegen. Um ein Raumschiff realistisch abzubremsen, muss man es eben umdrehen, das kennt man höchstens aus der Drei Sonnen-Trilogie von Liu Cixin. Und auch Laserwaffen und Todessterne sind unnötig, wo Gravitation herrscht. Wer eine Massenvernichtungswaffe braucht, gibt am anderen Ende des Sonnensystems einem Asteroiden einfach im richtigen Moment einen kleinen Stoß.
Womit wir bei Staffel fünf wären. Die Asteroiden, die ein Belter-Terrorist Richtung Erde geschubst hat, schießen unentdeckt auf ihr Ziel zu. Die Helden der multinationalen Raumschiff-Crew, der man seit der ersten Staffel gefolgt war, gehen inzwischen getrennte Wege – jeder stattet seiner Vergangenheit einen Besuch ab, auf Erde, Mars und im Belt. Psychologie und Charakter-Entwicklung sind gewiss keine Stärken der Serie; was die Figuren persönlich erleben, auch das gehört zum Charme von The Expanse, ist nie so spannend wie die soziologischen Verhältnisse, in denen sie sich bewegen. Die Erde wird, nach dem Einschlag der Asteroiden, von einem mächtigen zu einem verunsicherten Reich– während in den ersten Staffeln der Kalte Krieg als Inspiration diente, ist es nun der Krieg gegen den Terror. Auf dem Mars liegt die Wirtschaft am Boden, die kollektive Identität bröckelt. Und die Belter feiern die Demütigung derjenigen, die sie so lange gedemütigt haben. Erreicht haben sie damit nichts, bis auf Genugtuung. Für jemanden, der ohne das süße Privileg einer angenehmen Schwerkraft geboren wurde, ist das aber vielleicht schon was.